1230_Atzgersdorf Ortskern

Stellungnahme zum Entwurf Flächenwidmungs- und Bebauungsplan Atzgersdorf, 7917, 8. Juni 2012

Atzgersdorfer Ortskern (östlicher Teil) – Stellungnahme zum Entwurf Flächenwidmungs- und Bebauungsplan 7917 im 23. Bezirk, Katastralgemeinde Atzgersdorf

für das Gebiet zwischen Hödlgasse, Breitenfurter Straße, Brunner Straße, Atzgersdorfer Platz, Levasseurgasse, Kirchenplatz und Ziedlergasse

Der Verein Initiative Denkmalschutz gibt folgende Stellungnahme ab:

Plangebiet: Das Plangebiet umfasst den östlichen Teil des alten Ortskern von Atzgersdorf, einem Gassengruppendorf mit dem Zentrum Kirchenplatz (und der Einmündung im Südosten, der Levasseurgasse bis zur Breitenfurter Straße und im Norden der Ziedlergasse bis zur Hödlgasse). Mit der Gründung der Pfarre um 1300 sowie der ersten Schule um 1450 wurde der Ort schon früh zu einem regionalen Zentrum. Die mittelalterliche Ortsstruktur mit seinem dörflichen Bauformen (Streck-, Haken- und Zwerchhöfe) sowie die in der Vorgünderzeit entstandenen Bebauungsstrukturen wie ein- und zweigeschoßige Wohnhäuser mit Giebelfassaden und Flügelbauten sind in Teilbereichen erhalten (vgl. Erläuterungsbericht (EB) S.1-3 und 7). Der Bereich der Breitenfurter Straße ist durch Zeilenbebauung geprägt.

Schutzkategorien: Ein Großteil des alten Ortskernes befindet sich in einer Schutzzone. Als einziges Objekt im Plangebiet steht das Haus Kirchenplatz 6 unter Denkmalschutz (Straßentrakt, mit Bescheid seit 2009). Die Häuser Breitenfurter Straße 230 bis 240, Kirchenplatz 4-6, Levasseurgasse 2-8 sowie Ziedlergasse 2 bis 4 (Nr. 4 nur schmale Vorderfront) befinden sich aktuell in der Schutzzone (gemäß Wiener Bauordnung § 7). Im neuen Planentwurf sollen die Bereiche Breitenfurter Straße 230 bis 234, Levasseurgasse 4-6A, Ziedlergasse 4 aus der Schutzzone entlassen werden, ebenso die hinteren Bereiche der Häuser Breitenfurter Straße 236-238 sowie Kirchenplatz 4-6. Weiters sind im Planentwurf in den genannten Bereichen zumeist größere Bauhöhenwidmungen vorgesehen. 1987 weist das Plandokument 6020 erstmals den Ortskern mit seiner baulichen Struktur mittels Schutzzone als erhaltenswert aus und die Widmung sowie die Bebauungsbestimmungen werden “auf den Bestand abgestimmt” (EB, S.7). Bereits 12 Jahre später wird im Plandokument 7080 (1999) die Schutzzone deutlich verkleinert. Nun soll im aktuellen Planentwurf die Schutzzone noch einmal wesentlich verkleinert werden!

Breitenfurter Straße
Das ebenerdige, gut erhaltene Haus Breitenfurter Straße 226 stammt noch aus der dörflichen Bebauungszeit und wurde aufwändig restauriert. Vorschlag: Um den Bestand zu sichern wird empfohlen die Höhenwidmung und die Baufluchtlinien dem Bestand exakt anzupassen (derzeit viel zu hoch gewidment: Bauklasse II = 12 m; die Baufluchlinien gehen überhaupt nicht auf den Bestand ein). Überdies möge – so wie bereits 1987 bis 1999 gewidmet – eine Schutzzone ausgewiesen werden (gemeinsam mit dem Haus Breitenfurter Straße 228).

1230_Breitenfurterstr_230-236_DSCN0387Das Haus Breitenfurter Straße 230 stammt vermutlich ca. aus den 1910er Jahren und weist eine genutete Fassade im Erdgeschoß auf. In den beiden oberen Stockwerken wird die Fassadengliederung durch ein Rastersystem aus glatten profilierten Lisenen, flach profilierten Kranzgesims sowie aus rauen Parapetfeldern gegliedert. Vorschlag: Es wird empfohlen das Gebäude in der Schutzzone zu belassen. Im Jahr 1999 wurde dieses Haus noch als letztes Haus am Rande der Schutzzone aufgenommen, die Aufnahme in die Schutzzone erfolgte somit bewusst und wurde als erhaltenswert (und nicht als Füllobjekt) eingestuft.

Breitenfurter Straße 232, siehe Kirchenplatz 6

Das Haus Breitenfurter Straße 234 wurde vermutlich am Ende des 19. Jahrhunderts erbaut. Die Fassade wurde wohl im Laufe der Zeit seiner Gliederung weitgehend beraubt. Nur das Gurtgesims über dem Erdgeschoß und das stark profilierte Kranzgesims ist – neben der Eingangstür – geblieben. Der Hofbereich ist noch zeittypisch strukturiert. Vorschlag: Es wird empfohlen dieses Haus – wie auch das Haus Breitenfurter Straße 230 – in der Schutzzone zu belassen.

Das zweistöckige Gründerzeithaus Breitenfurter Straße 236 (mit Schriftzug Modefriseur Loth in der Attika) wurde 1908 vom aus der Slowakei stammenden Architekten Rudolf Erdös entworfen und von Leonhard Bauer ausgeführt. Die späthistoristische Fassade zeigt “eine starke Neigung zu neobarocker Plastizität” (…) “Dieses Pawlatschenhaus mit schmalem Seitenflügel und kleinem Hoftrakt hat einen sehr rationalen Grundriss, Treppenhaus im Seitenflügel, je zwei Wohnungen pro Geschoß im Vorderhaus und eine im Hof (durch Färbelung verändert).” (Achleitner). Das benachbarte Haus Breitenfurter Straße 238 wurde vom Architekten Josef Heisler 1907 entworfen und ausgeführt (Achleitner). Der zweistöckige Sichtziegelbau weist reich dekorierte, neobarocke Fensterrahmungen auf, die beiden äußersten Fensterachsen sind durch Putz und “Riesenlisenen” gestalterisch hervorgehoben. Vorschlag: Es wird empfohlen die Hofbereiche der beiden genannten Häuser in der Schutzzone zu belassen. Begrüßt wird beim Haus Breitenfurter Straße 236 die weitgehende Anpassung des Bestandes des nördlichen Flügelbaues mit den Baufluchtlinien.

Breitenfurter Straße 240, siehe Levasseurgasse 2

Kirchenplatz
1230_Kirchenplatz-6Am Kirchenplatz befindet sich das Haus Kirchenplatz 6 (= Breitenfurter Straße 232), welches als einziges im Plangebiet nicht nur in einer Schutzzone liegt, sondern auch unter Denkmalschutz steht. “Das Haus wurde Ende des 18. Jahrhunderts als eingeschossiger, traufständiger Bau ländlichen Charakters” mit josephinischer “Plattenstilfassade und seichtem Mittelrisalit zum Kirchenplatz errichtet. Aus dieser Bauphase ist der Straßentrakt mitsamt dem Dachstuhl und einer Schindeldeckung unterhalb der gegenwärtig bestehenden äußeren Dachhaut erhalten.” (…) “Durch das Tor gelangt man in eine in spätbarocken Formen gestaltete Einfahrt mit Platzlgewölben auf Gurten. Die Gewölbefelder sind mit querrechteckigen Putzfeldern belegt, die Gurte von Putzbändern gerahmt – insgesamt ähnlich wie die Fassade eine recht aufwändige Lösung, wie sei bei Bauernhäusern nur äußerst selten anzutreffen ist.” Resümee: “Der Straßentrakt des Hauses Kirchenplatz 6 ist das einzige mitsamt seiner Fassadengliederung erhaltene bäuerliche Objekt des Spätbarock am Kirchenplatz von Atzgersdorf und daher von identitätsstiftender Bedeutung für den Ort und sein Umfeld. Die für ein Bauernhaus sehr aufwändige Gestaltung von Fassade und Einfahrt in Formen des josephinischen Plattenstils bzw.des Spätbarock sowie seine Lage gegnüber der Pfarrkirche räumen dem Haus einen vorrangigen Platz im Gefüge des historischen Ortszentrums ein. Als einziger eingeschossiger Bau am Platz ist es zusätzlich ein unverzichtbares Dokument der landwirtschaftlichen Vergangenheit von Atzgersdorf”(Zitate aus dem Bescheid). Der aktuelle Planentwurf sieht die Herausnahme der beiden Flügelbauten im Hofbereich aus der Schutzzone vor. Der nördliche Flügelbau wurde 1885 als ebenerdiger Stalltrakt, vermutlich als Ersatz eines älteren Bauteils, an den bestehenden Straßentrakt angebaut. 1898 wurde südlich an den Straßentrakt ein weiterer Flügel mit Fruchtkammer, Pferdestall und Schuppen angesetzt. Beide Flügeltrakte wurden mehrmals verändert (zw. 1899 und 1959/60), zeigen aber in ihrem Erscheinungsbild alle Charakteristika historischer Flügeltrakte aus dem 19. Jahrhunderts und bilden mit dem Straßentrakt einen beeindruckend, geschlossenes Erscheinungsbild eines Zwerchhofes. Vorschlag: Es wird empfohlen die beiden Flügelbauten in der Schutzzone zu belassen. Weiters wird eindringlich empfohlen die Höhenwidmung genau dem Bestand anzupassen und keinesfalls – wie im Planentwurf beim Straßentrakt vorgesehen – um 1 Meter zu erhöhen (W I 3,5 m aktuell; W I 4,5 m im Planentwurf). Auch möge die Scheune, die bis 1999 in der Schutzzone gelegen war, wieder in die Schutzzone aufgenommen werden (samt exakter Widmung im Bestand).

Die beiden einstöckigen Häuser Kirchenplatz 4 und Kirchenplatz 5 stammen in der Außenerscheinung weitgehend aus der Gründerzeit (zeittypisches Eingangstor) und weisen jeweils ein profiliertes Gurtgesims über dem Erdgeschoß sowie ein profiliertes Kranzgesims auf (bei Kirchenplatz 5 gibt es noch ein zusätzliches Gurtgesims mit Dreiecksgiebel über dem 1. Stock und das Krangesims ist besonders stark profiliert). Beide Häuser besitzen aber einen älteren Kern und waren offenbar ursprünglich Hakenhöfe. Die ebenerdigen Hoftrakte bestehen in der Grundstruktur noch heute (besonders gut erhalten aus dem 19. Jahrhundert ist der Flügeltrakt des Hauses Kirchenplatz 4). Vorschlag: Es wird empfohlen – wie in der aktuellen gültigen Widmung – die Hoftrakte in der Schutzzone zu belassen. Weiters wird empfohlen die Hoffassade der Straßentrakte genau den Baufluchtlinien anzupassen.

Levasseurgasse
Das Haus Levasseurgasse 2 (= Breitenfurter Straße 240) ist ein typisches Gründerzeithaus, vermutlich aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Der zweistöckige Bau weist typische gründerzeitliche Gliederungselemente auf (wie z.B. Fensterädikulen, kräftige Dreiecksgiebel über den Fenstern, dekorativer Eckerker). Vorschlag: auch hier ist eine geringfügige Änderung der Baufluchtlinien und der Höhenwidmung angebracht, um exakt dem Bestand zu entsprechen.

Levasseurgasse 4 1230_Levasseurgasse-4 ist ein ebenerdiges bis einstöckiges Gebäude aus dem frühen 19. Jahrhundert. Das profilierte Kranzgesims und die profilierten Fensterrahmungen samt geraden Fensterverdachungen im 1. Stock sind noch sehr gut erhalten. Vorschlag: Es wird unbedingt empfohlen dieses Gebäude – wie auch die angrenzenden Häuser Levasseurgasse 6-6a – in der Schutzzone zu belassen(!) und die Baufluchtlinien sowie die Höhenwidmung exakt dem Bestand anzupassen.

Ziedlergasse

Die Vorderfront des ebenerdigen Hauses Ziedlergasse 4 möge in der Schutzzone belassen werden. Auch möge hier die Höhenwidmung klar auf den Bestand eingeschränkt werden.

Das einstöckige Haus Ziedlergasse 12, erbaut 1. Hälfte 19. Jahrhunderts(?), mit Fensterfaschen und gekehltem Kranzgesims, möge in seiner Höhenwidmung und den Baufluchtlinien exakt dem Bestand angepasst werden, um den Erhalt zu sichern.

Vorschlag: Weiters wird vorgeschlagen für die hier empfohlenen Schutzzonen die entsprechenden Architekturteile in einen Katalog nach § 7 (4) Wiener Bauordnung aufzunehmen, sodass auch diese einen rechtsverbindlichen Bestandteil des Bebauungsplanes bilden.

All die hier genannten Vorschläge und Empfehlungen sollen der Altstadterhaltung und der “Gewährleistung des Bestandes von Gebieten, die wegen ihres örtlichen Stadtbildes in ihrem äußeren Erscheinungsbild erhaltungswürdig sind” (vgl. EB S.12), dienen und Anreize für Abbruch und Neubau vermeiden.

RESÜMEE: Nach der Schutzzonenverkleinerung 1999 betrachtet die Initiative Denkmalschutz den aktuellen Planentwurf als weiteren, klaren Rückschritt in Sachen Altstadterhaltung und den Erhalt der dörflichen Ortskerne in Wien (zahlreiche Häuser bzw. Hintertrakte sollen aus der Schutzzone entlassen werden). Dieser negativen Entwicklung im Ortskern von Atzgersdorf ist unbedingt Einhalt zu gebieten, wenn man den Gedanken der Altstadterhaltung – auch im Sinne der Nachhaltigkeit – ernst nehmen will. Auch muss klar die Vorgehensweise, zuerst einen privaten Wettbewerb (Expertenverfahren) auszuschreiben, und danach den Flächenwidmungs- und Bebauungsplan zu ändern, kritisiert werden. Bei einer solchen Vorgehensweise müssten die Bürger und NGOs schon im Vorfeld eingebunden werden (vor allem bei der Definition der Wettbewerbsziele), was aber nicht geschehen ist. Ansonsten ist die Gefahr sehr groß, dass die Abgabe einer Stellungnahme zum aktuellen Planentwurf zur Farce verkommt.

Mit freundlichen Grüßen
Markus Landerer und Claus Süss
im Namen des Vorstandes
Verein Initiative Denkmalschutz
Streichergasse 5/12, 1030 Wien (ZVR-Nr.: 049832110)
www.initiative-denkmalschutz.at
mobil: 0699 1024 4216

Quellen:

  • Dehio Handbuch – Die Kunstdenkmäler Österreichs, Wien X.-XIX. und XXI. bis XXIII. Bezirk. Topographisches Denkmälerinventar, Herausgegeben vom Bundesdenkmalamt, Wien 1996
  • Friedrich Achleitner, Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, Band III/3: Wien 19.-23. Bezirk, Wien, 2010
  • Wien Kulturgut, Onlinekarte der Stadt Wien (mit Angaben der Bauperioden)
  • Denkmallisten des Bundesdenkmalamtes, Stand: Mai 2011 (vgl. http://www.bda.at/downloads/1928/Denkmalliste)
  • Unterschutzstellungsbescheid des Bundesdenkmalamtes, Kirchenplatz 6, 2009 (GZ: 51.296/1/2009)

An die

Magistratsabteilung 21 A
Rathausstraße 14-16
1010 Wien

ergeht in Kopie an:

  • die Bezirksvorstehung Liesing
  • an die Mitglieder des Bauausschusses bzw. an die politischen Parteien im 23. Bezirk