1140_Am_Steinhof

Am Steinhof, Samstag, 13. Oktober 2012

“Am Steinhof” – Begegnung mit der “Moderne” (Wiederholung)

Dr. Mara Reissberger, als Kunsthistorikerin Spezialistin für die Zeit um 1900, führt uns durch das Areal der “Weißen Stadt” – wie die Anlage “Am Steinhof” gerne genannt wurde: zur Zeit ihrer Entstehung die größte und modernste Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke. Wir werden die Motivationen und Ideenkonzepte kennen lernen, die zu deren Errichtung geführt haben; in welcher Weise die spezielle Bauaufgabe mit ihren ganz besonderen Funktionen als Katalysator gedient haben für Notwendigkeit und Möglichkeit der hier zum Ausdruck kommenden “Moderne” – eine “Moderne”, die wir nicht nur an der als Wahrzeichen rezipierten Kirche Otto Wagners wahrnehmen können, sondern gerade auch – denkmalhaft – an der Gesamtanlage.

Anmeldung erforderlich.

Ort: Otto-Wagner-Spital, Haupteingang, Baumgartner Höhe 1, 1140 Wien

Zeit: 09:45 Uhr

Für Mitglieder der Initiative Denkmalschutz: 8 Euro (Spende)
Für Nicht-Mitglieder: ab 20 Euro (Mitgliedsbeitrag, erste Führung gratis)

 

 

Die Heil- und Pflegeanstalt „Am Steinhof“ – Manifestation fortschrittlichen Denkens

Die „Niederösterreichischen Landes-Heil-und Pflegeanstalten für Geistes-und Nervenkranke „Am Steinhof‘“ stellen die dritte allein für Geisteskranke vorbehaltene Institution in Wien dar. Verglichen mit dem 1784 im Bereich des alten Allgemeinen Krankenhauses errichteten „Narrenturm“ und der um die Mitte des 19.Jhdts. erbauten Niederösterreichischen Landesirrenanstalt im 9. Bezirk am Brünnlfeld repräsentiert die 1901 beschlossene „Steinhof“-Anlage einen – in jeder Hinsicht – epochalen Schritt in Richtung Fortschritt und Modernität – und dies nicht nur für das Wien der Jahrhundertwende. Nicht zuletzt dokumentiert die Namensgebung das sich verändernde Bewusstsein gegenüber dem Kranken.
Mit fast 1 Million Quadratmeter Grund­areal, vorgesehen für die Zahl von 2000 Betten, ist „Am Steinhof“ zu Beginn des 20.Jhdts. die größte Anstalt der Welt, ja – wie Zeitgenossen meinen – auch die schönste ihrer Art.

Die Errichtung auf der Baumgartner Höhe, nahe des Wienerwaldes: eine Lage außerhalb der dicht verbauten Quartiere, mit reizvollem Panorama und gesunder Luft – damit entspricht „Am Steinhof“ ganz den Forderungen der zeitgenössischen, psychiatrieorientierten Architekturtheorie, die der Natur besonders heilende Wirkung zuschreibt. Zugleich ermöglicht der Standort aber auch die Anbindung an städtische Versorgungseinrichtungen sowie den leichteren Kontakt zwischen Angehörigen und Kranken.

Von Anfang an entscheidet man sich für das Pavillonsystem – und damit gegen einen großen, geschlossenen Krankenhauskomplex – um so in kleineren, selbständigen Einheiten die Patienten „zielgerichtet“ betreuen zu können. Demnach entstehen die Pavillons der eigentlichen Heilanstalt, der angeschlossenen gleich großen Pflegeanstalt, sowie jene des auch Sanatorium genannten Pensionats. Differenziert wird bei der Unterbringung in ruhige, halbruhige und unruhige Patienten.

In Vielem stößt man auf außerordentlich fortschrittliches Denken. Wenn etwa erwogen wird, außerhalb der eigentlichen Anstalt ein „Pflegerdörfchen“ einzurichten, einen geschützten Übergangsbereich zu schaffen für entlassene, aber im Leben draußen mit Schwierigkeiten konfrontierte Patienten – dann ist das Vorwegnahme dessen, was der italienische Reformpsychiater Franco Basaglia mehr als ein halbes Jahrhundert später propagieren wird.

Oder die die Gesamtanlage umschließende Mauer: Sie soll nicht nur die Öffentlichkeit vor den Geisteskranken schützen, sondern auch die Geisteskranken vor der Öffentlichkeit, vor der Neugier und Belästigung durch Passanten. Diese Grenze zwischen Drinnen und Draußen wird von gezielt gepflanzten Büschen und einer Weinhecke verdeckt, so verdeckt, dass sie eher wie eine „Vorgarteneinfriedung“ wirkt, denn wie eine Ein-Mauerung.

Eine autarke Enklave außerhalb der Öffentlichkeit der Stadt ist angestrebt – vergleichbar den Konzepten der Sozialutopisten des frühen 19.Jhdts., etwa jenen eines Robert Owen oder Charles Fourier. Die Heil-und Pflegeanstalt sieht ein „Beschäftigungshaus“ mit einer Reihe von Werkstätten vor; von Anfang an sind Patienten eingebunden in gärtnerische bzw. landwirtschaftliche Tätigkeiten, um den Eigenbedarf der Anstalt so weit wie möglich zu decken, also aus budgetentlastenden Gründen, aber auch – ja hauptsächlich – aus therapeutischen Überlegungen.

„Am Steinhof“ ist mit allen jenen baulichen Einrichtungen versehen, die für eine Metropole charakteristisch sind: einem Gebäude für die Verwaltung, mehreren für die Ökonomie, sogar Theater, Kirche und – Kerker fehlen nicht. Den „normalen“ Wohnvierteln in ihrer Differenziertheit lassen sich die Pavillons für die verschiedenen Gruppen von Patienten an die Seite stellen. Dem distanzierten und exklusiven Villenviertel wiederum entspricht das Pensionat, das für eine „gehobene“ Schicht gedacht, abseits liegt – abgehoben von der eigentlichen Heil-und Pflegeanstalt.

Insgesamt kommt es im Anstaltsbereich zu einer subtil-abgestuften Ausbildung verschieden-strukturierter öffentlicher Sphären. Direktion, Theater und Kirche gehören der Kategorie repräsentativer Öffentlichkeit an. Nicht mehr für den Fremden mit quasi „touristischem“ Interesse gedacht, ist hingegen das innere Areal: die eigentliche Anstaltsöffentlichkeit. Aus ihr wiederum grenzen sich die Gärten der Halbruhigen-Pavillons, von Gittern umfriedet, und – von Mauern umschlossen – die Gärten der Unruhi­gen-Pavillons aus. Interessant, wie differenzierend dabei auch die Pflanzen eingesetzt werden.

Die Gesamtkonzeption ist dahingehend angelegt, dass sie vom Architekturbetrachter als architektonisches Denkmal in Form eines Sakralbauwerks oder als monumentalisiertes Verwaltungsgebäude rezipiert werden kann. Die eigentliche Bestimmung von „Steinhof“, eine Anstalt für Geisteskranke zu sein, soll optisch nicht zur Wirkung kommen.
Jemand, der sich Wien – etwa mit dem Zug – nähert, nimmt an der Stadtperipherie mitten im Wienerwald eine Kirche oder vielleicht nur deren Kuppel wahr. Ihm, dem in jeder Hinsicht distanzierten Architekturbetrachter präsentiert sich „Steinhof“ demnach vor allem als herausragende Kirchenarchitektur; die Anstalt reduziert sich so zum ästhetischen Phänomen.
Jener, welcher in einer bestimmten Absicht – etwa um einen Kranken zu besuchen – auf die Anstalt zukommt, sieht von ihr nur das Verwaltungsgebäude, nur dieses tritt in sein Blickfeld. Ihm, dem involvierten oder gar betroffenen Architekturbetrachter erschließt sich „Steinhof“ als Monument des „Verwaltetseins“, als Denkmal der Rationalisierung der Irrationalität.

Werden Verwaltungsgebäude und Gesellschaftshaus im eigenen Baudepartement entworfen, so engagiert man für die Kirche mit Otto Wagner einen der führenden Architekten Wiens um 1900, der Garant ist für eine ästhetisch-exquisite, moderne Lösung – prädestiniert als Wahrzeichen für die gesamte Anlage zu dienen.

Wagner beschränkt sich freilich nicht auf das Entwerfen der Kirche, sondern legt zugleich auch seine Vorstellungen vom Gesamtplan für „Steinhof“ vor. Dabei übernimmt er die bereits im „amtlichen Entwurf“ vorhandene, betonte Mittelachse – gebildet aus Direktion, Gesellschaftshaus, Küche und Kirche – verwendet sie aber zudem als Hauptkoordinate für die gesamte Arrondierung des Areals. Die im ursprünglichen Entwurf noch – den Terraingegebenheiten entsprechend – unregelmäßig über das Gebiet verstreuten Pavillons ordnet Wagner nun streng symmetrisch an.

Aus der „zufällig“ in die Natur gebetteten Anlage wird eine streng durchkomponierte Anstalt; das ihr auf­erlegte Ordnungssystem versinn­bild­licht gleichsam die Wunschvorstel­lung, der Geisteskrankheit – wie jeder anderen Krankheit – Herr werden zu können.

Wagners Kirche definiert den Mittelpunkt der Gesamtanlage von „Steinhof“. Sie ist als Weiterführung der vom Architekten 1899 publizierten Vorstellungen über „Die Moderne im Kirchenbau“ zu verstehen. Ästhetik und Funktionalität gehen hier eine richtungweisende Symbiose ein. Moderne Zweckmäßigkeit, die aufs Praktische und Nützliche zielt, ist absolutes Credo; wobei die spezifische Funktion des Baus als Kirche für Kranke als besonderer Katalysator in Richtung Moderne gedient hat, wie – umgekehrt – eine derart radikale Funktionalität wohl nur bei einem Bau außerhalb der „Norm“ umzusetzen war.

„Steinhof“ als Manifestation fortschrittlichen Den­kens: Sie zu bewahren und zu schützen, sollte uns allen Verpflichtung, ja Bedürfnis sein.

Dr. Mara Reissberger
Kunsthistorikerin

Mit fast 1 Million Quadratmeter Grund­areal, vorgesehen für die Zahl von 2000 Betten, ist „Am Steinhof“ zu Beginn des 20.Jhdts. die größte Anstalt der Welt, ja – wie Zeitgenossen meinen – auch die schönste ihrer Art.
Die Errichtung auf der Baumgartner Höhe, nahe des Wienerwaldes: eine Lage außerhalb der dicht verbauten Quartiere, mit reizvollem Panorama und gesunder Luft – damit entspricht „Am Steinhof“ ganz den Forderungen der zeitgenössischen, psychiatrieorientierten Architekturtheorie, die der Natur besonders heilende Wirkung zuschreibt. Zugleich ermöglicht der Standort aber auch die Anbindung an städtische Versorgungseinrichtungen sowie den leichteren Kontakt zwischen Angehörigen und Kranken.
Von Anfang an entscheidet man sich für das Pavillonsystem – und damit gegen einen großen, geschlossenen Krankenhauskomplex – um so in kleineren, selbständigen Einheiten die Patienten „zielgerichtet“ betreuen zu können. Demnach entstehen die Pavillons der eigentlichen Heilanstalt, der angeschlossenen gleich großen Pflegeanstalt, sowie jene des auch Sanatorium genannten Pensionats. Differenziert wird bei der Unterbringung in ruhige, halbruhige und unruhige Patienten.
In Vielem stößt man auf außerordentlich fortschrittliches Denken. Wenn etwa erwogen wird, außerhalb der eigentlichen Anstalt ein „Pflegerdörfchen“ einzurichten, einen geschützten Übergangsbereich zu schaffen für entlassene, aber im Leben draußen mit Schwierigkeiten konfrontierte Patienten – dann ist das Vorwegnahme dessen, was der italienische Reformpsychiater Franco Basaglia mehr als ein halbes Jahrhundert später propagieren wird.
Oder die die Gesamtanlage umschließende Mauer: Sie soll nicht nur die Öffentlichkeit vor den Geisteskranken schützen, sondern auch die Geisteskranken vor der Öffentlichkeit, vor der Neugier und Belästigung durch Passanten. Diese Grenze zwischen Drinnen und Draußen wird von gezielt gepflanzten Büschen und einer Weinhecke verdeckt, so verdeckt, dass sie eher wie eine „Vorgarteneinfriedung“ wirkt, denn wie eine Ein-Mauerung.
Eine autarke Enklave außerhalb der Öffentlichkeit der Stadt ist angestrebt – vergleichbar den Konzepten der Sozialutopisten des frühen 19.Jhdts., etwa jenen eines Robert Owen oder Charles Fourier. Die Heil-und Pflegeanstalt sieht ein „Beschäftigungshaus“ mit einer Reihe von Werkstätten vor; von Anfang an sind Patienten eingebunden in gärtnerische bzw. landwirtschaftliche Tätigkeiten, um den Eigenbedarf der Anstalt so weit wie möglich zu decken, also aus budgetentlastenden Gründen, aber auch – ja hauptsächlich – aus therapeutischen Überlegungen.
„Am Steinhof“ ist mit allen jenen baulichen Einrichtungen versehen, die für eine Metropole charakteristisch sind: einem Gebäude für die Verwaltung, mehreren für die Ökonomie, sogar Theater, Kirche und – Kerker fehlen nicht. Den „normalen“ Wohnvierteln in ihrer Differenziertheit lassen sich die Pavillons für die verschiedenen Gruppen von Patienten an die Seite stellen. Dem distanzierten und exklusiven Villenviertel wiederum entspricht das Pensionat, das für eine „gehobene“ Schicht gedacht, abseits liegt – abgehoben von der eigentlichen Heil-und Pflegeanstalt.
Insgesamt kommt es im Anstaltsbereich zu einer subtil-abgestuften Ausbildung verschieden-strukturierter öffentlicher Sphären. Direktion, Theater und Kirche gehören der Kategorie repräsentativer Öffentlichkeit an. Nicht mehr für den Fremden mit quasi „touristischem“ Interesse gedacht, ist hingegen das innere Areal: die eigentliche Anstaltsöffentlichkeit. Aus ihr wiederum grenzen sich die Gärten der Halbruhigen-Pavillons, von Gittern umfriedet, und – von Mauern umschlossen – die Gärten der Unruhi­gen-Pavillons aus. Interessant, wie differenzierend dabei auch die Pflanzen eingesetzt werden.
Die Gesamtkonzeption ist dahingehend angelegt, dass sie vom Architekturbetrachter als architektonisches Denkmal in Form eines Sakralbauwerks oder als monumentalisiertes Verwaltungsgebäude rezipiert werden kann. Die eigentliche Bestimmung von „Steinhof“, eine Anstalt für Geisteskranke zu sein, soll optisch nicht zur Wirkung kommen.
Jemand, der sich Wien – etwa mit dem Zug – nähert, nimmt an der Stadtperipherie mitten im Wienerwald eine Kirche oder vielleicht nur deren Kuppel wahr. Ihm, dem in jeder Hinsicht distanzierten Architekturbetrachter präsentiert sich „Steinhof“ demnach vor allem als herausragende Kirchenarchitektur; die Anstalt reduziert sich so zum ästhetischen Phänomen.
Jener, welcher in einer bestimmten Absicht – etwa um einen Kranken zu besuchen – auf die Anstalt zukommt, sieht von ihr nur das Verwaltungsgebäude, nur dieses tritt in sein Blickfeld. Ihm, dem involvierten oder gar betroffenen Architekturbetrachter erschließt sich „Steinhof“ als Monument des „Verwaltetseins“, als Denkmal der Rationalisierung der Irrationalität.
Werden Verwaltungsgebäude und Gesellschaftshaus im eigenen Baudepartement entworfen, so engagiert man für die Kirche mit Otto Wagner einen der führenden Architekten Wiens um 1900, der Garant ist für eine ästhetisch-exquisite, moderne Lösung – prädestiniert als Wahrzeichen für die gesamte Anlage zu dienen.
Wagner beschränkt sich freilich nicht auf das Entwerfen der Kirche, sondern legt zugleich auch seine Vorstellungen vom Gesamtplan für „Steinhof“ vor. Dabei übernimmt er die bereits im „amtlichen Entwurf“ vorhandene, betonte Mittelachse – gebildet aus Direktion, Gesellschaftshaus, Küche und Kirche – verwendet sie aber zudem als Hauptkoordinate für die gesamte Arrondierung des Areals. Die im ursprünglichen Entwurf noch – den Terraingegebenheiten entsprechend – unregelmäßig über das Gebiet verstreuten Pavillons ordnet Wagner nun streng symmetrisch an.
Aus der „zufällig“ in die Natur gebetteten Anlage wird eine streng durchkomponierte Anstalt; das ihr auf­erlegte Ordnungssystem versinn­bild­licht gleichsam die Wunschvorstel­lung, der Geisteskrankheit – wie jeder anderen Krankheit – Herr werden zu können.
Wagners Kirche definiert den Mittelpunkt der Gesamtanlage von „Steinhof“. Sie ist als Weiterführung der vom Architekten 1899 publizierten Vorstellungen über „Die Moderne im Kirchenbau“ zu verstehen. Ästhetik und Funktionalität gehen hier eine richtungweisende Symbiose ein. Moderne Zweckmäßigkeit, die aufs Praktische und Nützliche zielt, ist absolutes Credo; wobei die spezifische Funktion des Baus als Kirche für Kranke als besonderer Katalysator in Richtung Moderne gedient hat, wie – umgekehrt – eine derart radikale Funktionalität wohl nur bei einem Bau außerhalb der „Norm“ umzusetzen war.
„Steinhof“ als Manifestation fortschrittlichen Den­kens: Sie zu bewahren und zu schützen, sollte uns allen Verpflichtung, ja Bedürfnis sein.

Dr. Mara Reissberger
Kunsthistorikerin